Der Traum ist aus
Die Reste von "Ton Steine Scherben" spielen im Jubez, und die deutsche Linke zelebriert ihre Bedeutungslosigkeit
"Neues Glas aus alten Scherben" sind ehemalige Musiker der
Rio-Reiser-Band und "Ton Steine Scherben", die derzeit mit einem neuen
Sänger und ordentlich alten Songs genannter Gruppen durch Deutschland
tingeln. Auch im Jubez hatten sich gut 200 Leute versammelt, eine bunte
Mischung aus Original-68ern, Schülerinnen, Studierenden aus Architektur
und Informatik und den Leuten, die eh auf jedem Konzert sind. So stand
man also rum und ließ sich von ein paar Leuten auf der Bühne die Lieder
unserer nicht wirklich bewegten Jugend vorspielen.
Die wenigsten im Publikum haben die Scherben wohl jemals live gesehen,
viele waren zu deren aktiver Zeit noch lange nicht geboren. Trotz
alledem war eine starke Begeisterung für die mitunter über 30 Jahre
alten Songs spürbar. Das politische Lied ist in den letzten Jahren
kontinuierlich aus der Medienlandschaft verschwunden. Vielleicht ist es
dieses hinterlassene Vakuum, was die Wiederaufbereitung der alten
Scherben-Klassiker motiviert und das Bedürfnis geweckt hat, sich das
alles auch nochmal live anzusehen. Und vielleicht bedingt auch die
entstehende Leere auf der linken Seite des politischen Spektrums ein
Gefühl von Nostalgie.
Die deutsche Linke hat ihren Traum ausgeträumt. Nachdem auch den
Letzten jetzt klar ist, dass sich in der Bundespolitik nach dem
Machtwechsel nichts geändert hat, haben die Linken zusätzlich auch ihre
politische Heimat in der Opposition verloren, die nunmehr von rechts
gegen die immergleiche Bundespolitik arbeitet. Wer sich dem Kuhhandel
Regierungsübernahme angeschlossen hatte, zieht sich oft resigniert
zurück. Weder in der politischen Landschaft noch auf dem Feld von
Bürgerinitiativen scheint sich wirklich eine Alternative aufzutun, die
für die deutsche Linke zur geistigen Heimat werden könnte.
An diesem Abend war man bereit, für zwei Stunden einmal seine
Resignation zu vergessen. Doch der Wut und der Ärger, den Ton Steine
Scherben zu artikulieren wusste, bleibt nichts als eine Erinnerung. Auf
und vor der Bühne war die Einigkeit, dass es nicht dieses Land ist, von
dem wir träumen - doch bleibt davon nicht mehr haften als eine laue
Ahnung, und übrig bleibt nur der Frust. Und nach einem schönen Abend
alter Lieder und alter Gefühle kehrt man heim vor seinen Fernseher und
schaltet sein Hirn auf Talkshow.
Die deutsche Linke hat ihren Antrieb verloren in einer Gesellschaft,
die an ihr rechts vorbegezogen ist. Und so bleibt anscheinend die
Flucht in die Vergangenheit das einzige Mittel, der Lethargie für kurze
Zeit zu entfliehen. Es scheint noch viel mehr Frust vonnöten, damit
dieser auch dazu führt, dass man sich wieder aus seinem Sessel erhebt.
Dessen ungeachtet war es ein schönes Konzert - die Lieder von Reiser und den
Scherben haben über die Jahre nichts von ihrer Kraft und Aktualität
verloren. Leider ist aber auch das kein gutes Zeichen ...
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