Querfunk, Beck's und Prosecco
Wenn man, wie der Querfunk, bereits sein 50-jähriges Jubiläum hinter
sich hat, dann versteht sich von selbst, dass der Querfunk nicht nur Radio
ist, sondern eine Marke. Und dass also die geneigte Querfunk-Konsumentin
somit das Recht erwirbt, sich durch ihren Konsum ausreichend von anderen
Menschen, die andere Markenradios konsumieren, zu differenzieren. Der
gemeine Wirtschaftwissenschaftler umschreibt dieses Phänomen kompakterweise
mit "Wenn Calvin Klein draufsteht, dann besser".
In modernen Gesellschaften wie der unseren erlaubt es die Marke (und deren
Konsum), seine eigene jämmerliche Existenz durch das vorgetäuschte
Heilsversprechen des Markenartikels und der angenommenen Zugehörigkeit zu
Gleichmarkigen zu kompensieren. Oder anders ausgedrückt: Ich umgebe mich mit
irgendeinem Tand, und automatisch steigt mein Ansehen: Der Markenartikel
wird mir zur Hilfe bei der Optimierung meiner Selbstdarstellung. Mit Jeans
von Calvin Klein kann man sich das noch gut vorstellen (die muss ja gut
sitzen, ist ja von Calvin Klein), aber das geht auch in komplexeren
Kontexten. Ein Beispiel: Es ist Samstagabend. Ich, männlich, Mitte 30, vom
Erwerbsleben schon leicht verbraucht und natürlich Single, gehe aus. Nun
könnte ich mich müde und elend an die Bar hängen und ein Beck's nach dem
andern trinken. Das symbolisiert: Ich bin müde, elend, einsam, und natürlich
bleibt das auch so. Pfiffig dagegen folgende Strategie: Ich gehe nur zum
Bestellen an die Bar und ordere stets ein Beck's und einen Prosecco. Das
signalisiert: Ich bin in weiblicher Begleitung da, die Dame hat Stil, und
ich habe noch genug Arsch in der Hose um trotzdem Bier zu trinken. Gleichsam
simpel und effektiv. Verständlich? Dann das gleiche nochmal: Sonntag morgen,
14 Uhr, ich empfange zum Frühstück, sagen wir mal, Anita,
Kulturwissenschaftlerin an der Uni Bremen. Die Frage: Was läuft im Radio?
Mit, nennen wir es mal, Hit-Radio Antenne signalisiere ich: Ist mir doch
egal, was da dudelt, Hauptsache Lala, Musik darf auch nicht aufregen beim
Bügeln, und ich höre sowieso nicht zu. Will ich das aussagen? Oder schalte
ich auf 104,8 und offenbare kritisches Denken, alternative Sichtweisen,
moderne Individualität, unorthodoxen Lebensstil und intellektuelle
Herausforderung? Die Antwort ist leicht. Eigentlich.
Der Erfolg solcher Strategien jedoch steht und fällt mit dem Abschätzen der
Marktrisiken. Super Idee mit dem Beck's und dem Prosecco, aber wie geht das
weiter? Dann steht man da rum mit zwei Getränken. Der Schwabe in einem
gebietet, die Proseccos auch selbst zu trinken (ist ja bezahlt), und wenn
man eine rauchen will, hat man keine Hand frei, und um so schneller trinkt
man - um dann wieder hurtig an die Bar zu eilen und das erfolgreiche
Procedere öffentlichkeitswirksam zu wiederholen. Die Folge: eine
offensichtliche Demonstration menschlichen Verfalls, und das schon kurz nach
23 Uhr. Ebenso gefährlich: Querfunk beim Frühstück mit unvorbereiteter
Zielgruppe. "Sag mal, die können ja alle gar nicht richtig Deutsch!" -
"Das ist jetzt nicht dem sein Ernst mit den DDR-Liedern!" - "Wenn die Frau
noch einmal Menschtruationsneid sagt, dann drück ich der mein Brötchen ins
Radio!" Die Folge: Anita aus Bremen ist genauso begeistert wie die Kumpels,
die mich gestern kurz nach 23 Uhr sturzbetrunken nach Hause geschleift haben
- und genauso schnell verschwunden.
Meinen Kumpels ist angesichts meines erbärmlichen Zustandes kein Vorwurf zu
machen. Anita auch nicht - sie kennt es nicht besser. Als das angeblich so
rote Bremen letztens eine freie Frequenz für lokale Belange zu vergeben
hatte, ausgerechnet die 104,8, ging diese an: Hit-Radio Antenne. Welchen
Zustand das Land Bremen mit dieser Entscheidung offenbart, mag die gemeine
Kulturwissenschaftlerin beleuchten. Ebenso wie die Symbolwirkung des
gewagten Gedankensprungs von Bier und Prosecco (bodenständig und spritzig)
zum Querfunk. Und währenddessen solidarisiert euch mit Anita und tut das,
was sie nicht tun kann: Hört gutes Radio in schlechtem Deutsch.
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