Zusehen und die Klappen halten?
Ein Plädoyer für das Politische Mandat
Als wir vor ein paar Wochen durch die O-Phasen gezogen sind, um die
Funktionsweise der Studierendenvertretung in Karlsruhe vorzustellen,
wurde es, wie üblich, mit großer Verwunderung aufgenommen, dass diese
quasi verboten ist und mit riesigen strukturellen und vor allem
finanziellen Problemen zu kämpfen hat, da es in Baden-Württemberg keine
verfasste Studierendenschaft mehr gibt. Damit entfallen auch die in
anderen Bundesländern üblichen Beiträge der Studis für ihre Vertretung,
was zum Verkauf von Beitragsmarken führt, aber das haben wir ja schon
häufiger angeführt und ich will das auch nicht nochmal aufwärmen.
Erwähnenswert allerdings ist der (vielleicht einzige) Vorteil, den wir
als UStA in diesem Bundesland aus der nicht existenten Verfassten
Studierendenschaft ziehen: es ist nicht möglich, uns juristisch den
Mund zu verbieten, weil wir, wie alle anderen ASten in Deutschland, das
Politische Mandat für uns reklamieren.
Das Politische Mandat beinhaltet, dass sich die
Studierendenvertretungen auch zu Sachverhalten äußern, die nicht
"unmittelbar und spezifisch" hochschulbezogen sind. Vor Allem seine
GegnerInnen nennen es deshalb auch gerne das "Allgemeinpolitische
Mandat", einen Ausdruck, den ich nicht verwenden möchte, weil ich die
Trennung in Hochschulpolitik und Allgemeinpolitik als absurd
betrachte. Aber dazu später mehr.
Klagen von Burschenschaften, REPs und RCDS
Im Norden der Republik werden aber die ASten in den letzten Jahren
verstärkt mit Klagen überzogen, die den Studierendenvertretungen
Äußerungen verbieten wollen, die über die unmittelbare Hochschulpolitik
hinausgehen. Initiiert werden diese Klagen meistens aus dem Lager der
Studentenverbindungen (meist Burschenschaften) und dem daraus
hervorgegangenen Republikanischen Hochschulverband, zuletzt aber auch
verstärkt (wie bei den Klagen gegen den RefRat der Humboldt-Uni Berlin)
von Mitgliedern des RCDS.
Ein paar Beispiele: dem AStA der Uni Bremen wurde vom OVG Bremen zu
bestimmten Themen unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 500.000
DM ein Maulkorb verordnet, diese Themen sind im Urteil festgeschrieben
[1]. Unter Anderem darf sich der dortige AStA nicht mehr zu
energiepolitischen Fragen, zur Verkehrs- oder Arbeitsmarktpolitik
äußern, Ausländerpolitik darf er nur thematisieren, wenn es konkret um
Hochschulangehörige geht [2].
Ist ein Studiticket Allgemeinpolitik?
Der AStA der Uni Münster wurde verklagt, weil er sich für die
Einführung eines Semestertickets starkgemacht hatte und den
ökologischen und verkehrspolitischen Nutzen diese Tickets hervorgehoben
hatte. Dieser Rechtsstreit wurde bis vor das Bundesverwaltungsgericht
getragen, das dem AStA letztinstanzlich Recht gab: die Werbung für das
Semesterticket war rechtens [3].
Neustes Beispiel ist der RefRat der HU Berlin, der von Mitgliedern des
RCDS verklagt wurde, weil er eine Podiumsdiskussion zum KosovoKrieg
veranstaltet hatte. Eine Entscheidung dort steht noch aus.
Gerade das letzte Beispiel zeigt, dass die Vorfälle so weit weg nicht
sind, wie sie scheinen: im letzten Sommersemester versuchte der hiesige
RCDS erfolglos, im Studierendenparlament eine vom UStA unterstütze
Flugblattaktion einiger Karlsruher Studierender zum Krieg im Kosovo zu
unterbinden. Auf den Flugis wurde aufgrund der Beteiligung der
Bundeswehr an diesem Krieg zum Nachdenken aufgerufen, dem RCDS war das
anscheinend schon zu viel. Auch aus Reihen der LHG wurde dem UStA
Anfang des Jahres zu starke allgemeinpolitische Betätigung vorgeworfen,
und das, obwohl man sich allein durch Lesen der UStA-Magazine leicht
überzeugen kann, dass nicht hochschulbezogenen Themen faktisch nicht
vorkamen.
Wie das Berliner Beispiel zeigt, könnte so etwas leicht in einer Klage
enden, vor der wir aber mit Sicherheit verschont bleiben, weil sich die
Urteilsbegründungen immer auf die "Zwangsmitgliedschaft" der
Studierenden begründen, die es in Süddeutschland ja nicht gibt.
Hochschulpolitik ist Allgemeinpolitik
Doch inwieweit macht diese Trennung zwischen Allgemeinpolitik und
Hochschulpolitik überhaupt Sinn? Was ist, wenn von der Fachschaft
Physik oder Elektrotechnik eine Veranstaltung zum Thema
"Energieversorgung ohne Atomstrom?" organisiert wird? In Bremen wäre
dies verboten. Und kann man sich über die Verkehrsituation in seiner
Uni-Stadt äußern, ohne die allgemeine Verkehrspolitik zu
berücksichtigen? Wie kann man Vorschläge zur Studienfinanzierung
machen, ohne auf die Finanzierbarkeit in den Gesamthaushalten
einzugehen? Kann man wirklich ernsthaft Hochschulpolitik betreiben,
wenn man argumentativ im Elfenbeinturm des eigenen Uni-Umfeldes
gefangen bleibt? Ist nicht vielmehr ein übergreifendes Denken gefordert
anstatt der Beschränkung auf den eigegen Tellerrand? Kann oder darf man
bildungspolitische Debatten von gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen
trennen? Aus diesem Grund lehne ich die Benutzung des Wortes
"Allgemeinpolitik" ab - Hochschulpolitik ist Allgemeinpolitik.
Zunehmend wird in Deuschland geklagt, dass sich zuwenig
gesellschaftlich engagiert würde und Politik ausschließlich den
Parteien und Lobbygruppen (Industrie, Gewerkschaften, ADAC etc.)
vorbehalten sei. Die Studierenden haben noch nicht einmal
LobbyistInnen. Aber haben wir nicht das Recht, uns zu äußern? Ich würde
sogar weitergehen und fragen: Haben wir nicht die Pflicht dazu?
Politische Stellungnahme als gesellschaftliche Pflicht
Die deutsche Gesellschaft will den Studierenden derzeit die Möglichkeit
bieten, sich unabhängig von sozialer und finanzieller Herkunft zu
bilden [4]. Studierende sind die Gruppe in der Gesellschaft, die es
sich ohne Rücksichtnahme auf einen Arbeitgeber [5] und Angst um die
Arbeitsstelle, zumeist ohne Rücksicht auf Familie, Kinder und Eigenheim
und ohne den Verschleiß jahrelanger Berufstätigkeit in monetären
Zwängen, leisten können, sich ihre Gedanken zu machen und diese frei zu
artikulieren. Zumal sind sie mit dem Privileg ausgestattet, Zugang zu
den bestmöglichen Bildungseinrichtungen der Republik zu haben. Steht
eine derart unabhängige, hochgebildete Bevölkerungsgruppe nicht
geradezu in der Pflicht, sich aktiv am politischen Geschehen des
Staates zu beteiligen und sich in die Willensbildungsprozesse
einzubringen? Müssen nicht aus dieser Gruppe Anregungen für Politik und
Gesellschaft ausgehen? Darf sich ein Staat eine kritik- und
stimmenlose Masse Studierender leisten? Kann man guten Gewissens
angehende Wissenschaftler verantworten, die in der Bewertung von
Sachverhalten gesamtgesellschaftliche und wissenschaftliche Interesse
trennen?
Die Versuche, die studentischen VertreterInnen mundtot zu machen,
kommen nicht umsonst von denjenigen politischen Gruppierungen, die an
den Hochschulen auf demokratischem Weg nicht Fuß fassen können. Der
"Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler" (BdWI)
bezeichnet in diesem Zusammenhang in einer Presseerklärung für das
politische Mandat den RCDS "nicht als Motor, sondern als Auspuff der
CDU" [6].
Protest gegen Milosevic unmittelbar hochschulbezogen?
Wenn in Belgrad die Studierenden gegen Milosevic auf die Straße gehen,
ist ihnen der Beifall von Bevölkerung und Medien sicher, obwohl die
Agitation gegen die Staatsführung garantiert nicht "unmittelbar und
spezifisch hochschulbezogen" ist. Über das Massaker gegen Studierende
auf dem Platz des himmlischen Friedens regte sich die ganze Welt auf
[7], hinterher wurde bejammert, dass die reformerischen Initiativen der
chinesichen Studis versandeten. Und in Deutschland soll das nicht
gelten? In anderen Ländern sollen die Studis Regierungen stürzen, hier
aber brav und sittsam die Klappe halten, als gäbe es in Deutschland per
Definition keine Missstände? Es ist nicht einzusehen, warum die
deutschen Studierenden schweigen sollen, wenn Unterschriften gegen
Ausländer gesammelt werden oder eine gefährliche Energiepolitik
verfolgt wird, die zudem von mehr als 80% der Bevölkerung abgelehnt
wird. [8]
Wenn die Studierenden in Deutschland sich nicht politisch artikulieren,
versagen sie in der Verantwortung, die sie für die Gesellschaft
tragen. Wir sind diesem Staat und seinen Menschen unsere Meinung
schuldig. Deshalb ist jegliche Beschränkung der freien Meinungsäußerung
der demokratisch gewählten Studierendenvertretungen strikt abzulehnen.
[1] http://www.studis.de/pm/buendnis/buko/urteile/bremen.html/view.html
[2] Als gäbe es einen Unterschied zwischen Rassismus gegen studierende
oder nichtstudierende AusländerInnen.
[3] http://www.studis.de/pm/buendnis/buko/urteile-texte/bverwg.html
[4] Auf die Frage, inwieweit dies noch der Realität entspricht, möchte
ich hier nicht eingehen. Die Politik scheint dies längst nicht mehr so
zu sehen, aber das ist ein anderes Thema.
[5] Auch dies ist bei 85% arbeitender Studierender eigentlich überholt,
aber sicher ist dies nicht der gewünschte Zustand.
[6] http://www.studis.de/pm/buendnis/buko/texte/BDWI-PM.html
[7] Natürlich nur solange, wie es der heimische Wirtschaft nicht
hinderlich ist; China könnte ja den Transrapid kaufen.
[8] http://www.oneworldweb.de/castor/presse/ejz/1999/januar/16c.html
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